Das Thema Corona-Pandemie gehört inzwischen zum Alltag und wir sind mit den Abstands- und Hygieneregeln vertraut. Das Tragen eines Mund- und Nasen-Schutzes ist zur Gewohnheit geworden, viele Menschen sind bereits geimpft. Was jedoch viele vergessen: Der Mund ist eine der Haupteintrittspforten für Coronaviren in den menschlichen Organismus.
Ob Viren und andere Erreger bereits im Mund von der dortigen Immunbarriere abgewehrt werden können oder nicht, hängt auch von der Mundgesundheit ab. Vor allem Parodontitis (umgangssprachlich auch fälschlicherweise oft als Parodontose bezeichnet) scheint eine große Rolle zu spielen. Eine gute häusliche Mundhygiene, regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt oder Facharzt für Parodontologie und die professionelle Zahnreinigung beim Zahnarzt sind also gerade in Pandemiezeiten besonders wichtig.
In der Regel merken wir nichts davon, aber durch das Tragen des Mund- und Nasen-Schutzes (Maske) während der Pandemie ist es vielen bewusster geworden: Über den Mund ist unser Körper permanent mit Mikroorganismen konfrontiert. Einige Keime sind friedliche Bewohner der Mundhöhle und haben sogar wichtige Funktionen. Andere sind gefährlich und müssen abgewehrt werden – nicht nur Coronaviren.
Dafür besitzt unser Mund mehrere Abwehrlinien. Bereits der Speichel enthält zahlreiche Stoffe, die antimikrobiell wirken und Keime abtöten oder inaktivieren. Die nächste Bastion ist die Mundschleimhautoberfläche: Durch ihre dichte Struktur macht sie den Mikroben das Eindringen schwer. Auf Keime, die es an dieser Barriere vorbeischaffen, wartet in der Mundschleimhaut die dritte Abwehrlinie: Die Abwehrzellen und Antikörper des Immunsystems. Außerdem weiß man inzwischen, dass auch „gute“ Keime der Mundhöhle, die Teil eines gesunden Mundmikrobioms sind, eine Rolle bei der Abwehr von Krankheitserregern spielen.
Normalerweise bilden die Oberflächenzellen der Mundschleimhaut eine mehrschichtige Mauer. Die einzelnen Zellen sind mit Verbindungsproteinen sozusagen "abgedichtet", sodass es Krankheitserreger schwer haben, diese Schicht zu durchdringen. Bei manchen Menschen ist diese Schleimhautgrenze jedoch weniger dicht als bei anderen, weil in der Schleimhaut ständige Entzündungsvorgänge ablaufen. Das ist bei Parodontitis der Fall. Bei dieser Erkrankung wird der Zahnhalteapparat – also das Binde- und Knochengewebe, das den Zahn im Kiefer befestigt – als Folge einer chronischen Entzündung geschädigt und abgebaut.
Aber nicht bei allen Menschen, die unter Parodontitis leiden, kommt es zu einem Abbau des Bindegewebes. Warum die Krankheit bei manchen Menschen so zerstörerisch verläuft, ist noch nicht abschließend erforscht. Man hat aber einen Marker gefunden, der sich im Speichel nachweisen lässt, und der auf so einen Verlauf hinweisen kann: Die aktive Matrix-Metalloproteinase-8, kurz aMMP-8.
aMMP-8 ist ein körpereigenes Enzym, das Kollagen – also Bindegewebsfasern – auflöst. Es hat einige wichtige Funktionen im Körper. Wenn es jedoch im Mundraum in zu hohen Konzentrationen vorkommt, wird es zum Problem. Ausgehend von bestimmten Bakterien im Zahnbelag, kommt es zu einer Immunreaktion im Zahnfleisch. Der Körper versucht, den Erregern etwas entgegenzusetzen. Dabei schießt er im Falle der Parodontitis jedoch über das Ziel hinaus. Das führt zu einem Ungleichgewicht zwischen Gewebeabbau und Reparaturvorgängen. Der Zahnhalteapparat geht zurück.
aMMP-8 scheint dabei eine besonders üble Rolle zu spielen. Auf das Bindegewebe wirkt es wie eine „Machete im Dschungel“. Je mehr aMMP-8 im Speichel bzw. in den Zahnfleischtaschen vorhanden ist, desto größer ist das Risiko, dass eine Parodontitis gewebezerstörend verläuft. Das Enzym lässt sich inzwischen auch durch Labortests und sogar durch einen einfachen Speicheltest nachweisen, der direkt am Behandlungsstuhl durchgeführt werden kann.
Da aMMP-8 die Verbindungsproteine – sogenannte „tight junctions“ – zwischen den Schleimhautoberflächenzellen zerschneidet, wird bei Parodontitis auch eine Pforte in Richtung Blutkreislauf geöffnet. Das könnte dazu führen, dass das Entzündungsgeschehen sich in andere Bereiche des Körpers ausdehnt. Und es wäre eine Erklärung dafür, dass bei Parodontitis das Risiko für bestimmte andere Erkrankungen steigt: Etwa Diabetes, rheumatoide Arthritis („Gelenkrheuma“), Herzinfarkt, Schlaganfall und Frühgeburten. Inzwischen mehren sich auch die Hinweise, dass Menschen mit Parodontitis ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben.
Einige Experten glauben, dass aMMP-8 auch ein Marker für die Immunkompetenz sein könnte. Denn wenn das Oberflächengewebe im Mund durchlässiger wird, haben auch Coronaviren und andere Erreger leichtes Spiel. „Ein erhöhter aMMP-8-Spiegel deutet darauf hin, dass sich das Gewebe im Mund im Abbau befindet, während niedrige aMMP-8-Spiegel dafürsprechen, dass das Gewebe sicher und stabil ist – die Immunbarriere ist in Ordnung“, so Roland Frankenberger, Professor für Zahnerhaltung an der Universität Marburg in einer Pressemitteilung der Mundgesundheitsstiftung.
„Bakterielle oder virale Angriffe können von einer intakten oralen Immunbarriere besser abgewehrt werden“, ergänzt Angelika Brandl-Riedel, Vorsitzende des Vorstandes Deutscher Zahnärzteverband e. V.. Der aMMP-8-Test könnte also dabei helfen, die Immunkompetenz eines Patienten zu beurteilen.
Die Behandlung bzw. Vorbeugung der Parodontitis dürfte ein wichtiges Instrument bei der Vorbeugung von COVID-19 sein, aber auch von anderen Infektions- bzw. Allgemeinerkrankungen.
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